In die Finsternis – Leseprobe

Tahir von Branden verharrte in seiner Bewegung.

Es war, als hätte der Rachen eines Untiers den Stollen und alles, was sich darin befand, verschlungen. Schlagartig war es finster geworden, schwärzer als selbst in den dunkelsten Gassen von Kyrell. Und Tahir wusste aus unheilvoller Erfahrung, wie finster es in mondlosen Nächten in Kyrells Gassen werden konnte. Die Hand des Zauberers schloss sich um den Illum in seiner Hand, und er versuchte, dem Elfenkristall am oberen Ende des Stabes ein wenig Licht zu entlocken. Vergeblich.

Die Schwärze, in die der Stollen plötzlich gefallen war, war so abgrundtief und endlos, dass sie selbst die Dunkelheit verschluckt zu haben schien. Und sie war von solcher Bosheit und zerstörerischer Macht durchdrungen, dass sie jeden Zauber, jede Art von lichter Magie unterband. Was auch immer Tahir am Ende dieses Stollens vorfand, er würde ihm so gegenübertreten müssen, wie er war. Allein. Unbewaffnet. Seiner Fähigkeiten beraubt.

Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, tastete sich der Zauberer vorsichtig weiter, einen Fuß vor den anderen setzend wie ein Traumwandler – gleichwohl wie einer, der einen grässlichen Albtraum durchlebte.

Die Schreie seiner beiden Gefährten, die ihn den schmalen Bergpfad herauf und bis zum Eingang des Stollens geführt hatten, klangen ihm noch im Ohr. Es war schnell gegangen, so schnell, dass er nichts dagegen hatte unternehmen können. Selbst seine Fähigkeit, den Fortgang der Zeit für einige Augenblicke aufzuhalten, hatte versagt angesichts der ungeheuren Gewandtheit, mit der die Kreatur zugeschlagen hatte. Woher sie gekommen war, wusste Tahir noch immer nicht zu sagen. Ein grauer Schemen, mörderische Fänge, der übel erregende Geruch des Todes – das war alles, was er wahrgenommen hatte. Dazu jenes grässliche Geschrei, das er nicht mehr vergessen konnte und das ihn selbst in der absoluten Stille, die in der Finsternis herrschte, noch verfolgte.

Seine linke Hand, die er tastend ausgestreckt hatte, stieß plötzlich auf ein Hindernis. Es war kalt und von rauer Beschaffenheit, Felsgestein, das jedoch behauen worden war. Tahirs Verdacht, es nicht mit einer natürlichen Höhle, sondern einer alten, vor langer Zeit verlassenen Mine zu tun zu haben, erhärtete sich. Es gehörte zur Natur der Zwerge, ihre Bergwerksstollen durch die Felsen und Klüfte des Schwarzsteingebirges zu treiben, stets auf der Suche nach wertvollen Metallen und funkelndem Gestein. Und es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sie zu tief gegraben hatten …

Tahir schloss die Augen, versuchte sich ein Bild von dem zu machen, was seine Hand in der Finsternis befühlte. Leere Augenhöhlen … grässliche Hauer in den Winkeln eines weit aufgerissenen Mauls. Eine steinerne Fratze, fraglos in den Stein gemeißelt, um unvorsichtige Besucher vor dem Betreten dieses Stollens zu warnen. Ein verwegenes Grinsen huschte über Tahirs Gesicht. Die Warnung kam zu spät.

Vorsichtig schlich er weiter, als er mit dem Fuß gegen ein Hindernis stieß. Ein kaltes, trockenes Klappern erklang und zerriss die Stille im Stollen. Tahir stieß eine halblaute Verwünschung aus. Er kannte jenes Geräusch nur zu gut – es war das Klappern von Knochen, die den Stollenboden übersäten. Offenbar war er nicht der Einzige, der die Warnung der Zwerge in den Wind geschlagen hatte…
Es war derselbe Moment, in dem er das Knurren hörte.

Die Kreatur war hier . . .